Kulturbewusstsein und kulturelle Ausdrucksfähigkeit – eine Schlüsselkompetenz

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Ein neuer Bericht enthält politische Empfehlungen für die Europäische Union in Bezug auf die Vermittlung von Kulturbewusstsein und kultureller Ausdrucksfähigkeit – wesentliche Bausteine eines freien und demokratischen Europas.

Europa kann von einem verstärkten Fokus auf Kulturbewusstsein und kultureller Ausdrucksfähigkeit im Bildungsbereich enorm profitieren. Diese Empfehlung über Schlüsselkompetenzen behandelt viele wesentliche Aspekte der Gesellschaften und Kulturen im heutigen Europa. Im vor Kurzem veröffentlichten Bericht über Kulturbewusstsein und kulturelle Ausdrucksfähigkeit wird ein Rahmenkonzept mit politischen Empfehlungen über die Herangehensweise an dieses Thema ausgeführt. Der Bericht, an dem 50 Experten aus über 20 Ländern in Europa mitarbeiteten, enthält Empfehlungen für die EU-Institutionen und die Mitgliedsstaaten auf der Grundlage der Offenen Koordinierungsmethode (OMK).

Während des zweijährigen Zeitraums, in dem die Publikation verfasst wurde, wurde Europa Zeuge von schwerwiegenden Angriffen auf das Konzept einer offenen Gesellschaftsordnung. Menschen verloren ihr Leben, während sie ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ausübten, an kulturellen Veranstaltungen teilnahmen oder einfach nur ihr Leben genossen. Dies hat uns – mehr als jemals zuvor – die Werte von Demokratie, aktivem Bürgertum, Selbstbewusstsein und des interkulturellen Dialogs vor Augen geführt. Genau darum geht es beim Thema Kulturbewusstsein und kulturelle Ausdrucksfähigkeit.

Wir stützten unsere Arbeit auf zwei Säulen: eine vorwärtsgerichtete Untersuchung der aktuellen Praxis in den Mitgliedsstaaten und eine gründliche Analyse der Definition von Kulturbewusstsein und kultureller Ausdrucksfähigkeit, die uns vom Europäischen Parlament zur Verfügung gestellt wurde.

Die vielen wertvollen Beispiele einer guten praktischen Umsetzung machten deutlich, dass Kulturbewusstsein und kulturelle Ausdrucksfähigkeit ein sehr vielfältiges und umfangreiches Thema darstellen, das die enorme kulturelle Vielfalt in Europa widerspiegelt. Während wir uns ausdrücklich dafür entschieden, diese Vielfalt positiv zu bewerten, indem wir zum Beispiel die Tatsache anerkannten, dass es sich dabei um eine vielfältige und vielschichtige Kompetenz handelt, die auf vielerlei Weise gefördert werden kann, ruft unsere Analyse auch zu einem strategischeren und langfristigeren Ansatz im Hinblick auf Kulturbewusstsein und kulturelle Ausdrucksfähigkeit sowohl in der Politik der EU als auch der Mitgliedsstaaten auf.

Es war sehr interessant und ermutigend, festzustellen, dass die vom Europäischen Parlament und vom Rat im Jahr 2006 verfasste Definition von Kulturbewusstsein und kultureller Ausdrucksfähigkeit dieses vielfältige und vielschichtige Feld abdeckt und gleichzeitig ein fundiertes Rahmenkonzept bereitstellt. Insgesamt bewerteten die Experten diese zehn Jahre alte Definition als nach wie vor sehr wertvoll und nützlich. Natürlich hat sich die Welt seit dem Jahr 2006 verändert. In dieser Hinsicht rufen wir dazu auf, bei der politischen Definition von Kulturbewusstsein und kultureller Ausdrucksfähigkeit zusätzliche Aufmerksamkeit auf den interkulturellen Dialog und die Nutzung der digitalen Medien zu richten.

Auf diesen Grundlagen basieren unsere Empfehlungen. Sie gliedern sich in drei Teile:

Der erste Teil betrifft die Schaffung stärkerer und besser strukturierter Verbindungen zwischen allen politischen Ebenen und Bereichen. Zum einen benötigen wir eine bessere Überwachung und Zusammenarbeit sowie einen intensiveren Austausch auf internationaler politischer Ebene. Bestehende Netzwerke wie ACEnet (Arts Education Network) und ELO (Expanded Learning Opportunities) könnten beim Erreichen dieses Ziels hilfreich sein. Andererseits liegt es auf der Hand, dass für Kulturbewusstsein und kulturelle Ausdrucksfähigkeit aller europäischen Bürger eine strukturelle Kooperation zwischen verschiedenen Politikfeldern erforderlich ist. Dies betrifft die Bereiche Kultur und Bildung, aber auch Jugend, Soziales und Medien. Während die Mitgliedsstaaten in dieser Hinsicht eine große Verantwortung tragen, ergeben sich hier auf lokaler Ebene natürliche Anknüpfungspunkte. Wir appellieren an die Mitgliedsstaaten, sich diese lokale Verankerung zunutze zu machen.

Der zweite Teil betrifft die Bildungspolitik. Um allen EU-Bürgern den Erwerb dieser Kompetenz zu ermöglichen, ist es notwendig, dieses Thema in der gesamten Pflichtschulbildung strukturell zu berücksichtigen. Aus diesem Grund empfehlen wir den Mitgliedsstaaten, das Thema in die Lehrpläne, die Didaktik und die Bewertungsschemata für die Grund- und Sekundarschulbildung zu integrieren. Darüber hinaus sollte es ein integraler Bestandteil der Fort- und Weiterbildung aller Lehrkräfte und Kulturexperten werden.

Der dritte Teil betrifft die Kulturpolitik. Die kulturelle Politik und Praxis wird von einer besseren und sichtbareren Verknüpfung mit den Herausforderungen der heutigen Gesellschaften profitieren. Neben Innovationen und Zugänglichkeit ruft unser Bericht zu einer systematischen Berücksichtigung der kulturellen Beteiligung aller Bürger mit dem Schwerpunkt auf Kindern und Unterprivilegierten auf. Schließlich fordert der Bericht die Konzeption, Umsetzung und Evaluation von Programmen ein, die eine Zusammenarbeit zwischen Schulen und kulturellen Einrichtungen fördern.

Kulturbewusstsein und kulturelle Ausdrucksfähigkeit stellen eine wesentliche Kompetenz eines freien und demokratischen Europas dar. Eine solide Basis und ein struktureller Rahmen für die Schulung dieser Kompetenz sind für offene und demokratische Gesellschaften von höchster Bedeutung. Heute mehr als jemals zuvor.

Jan Jaap Knol und Brecht Demeulenaere
Vorsitzende der OMK-Gruppe für Kulturbewusstsein und kulturelle Ausdrucksfähigkeit

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