3.9 Geflüchtete, Migranten/-innen und Roma
Kinder aus benachteiligten ethnischen Minderheiten gehören überdurchschnittlich häufig zu den leistungsschwächeren Schülern und sind stärker vom frühzeitigen Schulabgang bedroht. Häufig können auch soziokulturelle Faktoren wie Sprachbarrieren, Diskriminierung oder (angenommene) Diskrepanzen im kulturellen Kapital für Leistungsschwäche ursächlich sein. Insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder von Roma werden im Bildungssystem kulturell ausgegrenzt. Bei Lernenden mit Roma-Hintergrund weisen die – nur lückenhaft vorhandenen – Vergleichsdaten darauf hin, dass diese Kinder mit größerer Wahrscheinlichkeit die Schule vor Abschluss der Sekundarstufe II verlassen oder diese gar nicht erst beginnen.
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Über im Ausland geborene Lernende liegen für einige Mitgliedstaaten nur wenige Daten vor, weswegen sie mit Vorsicht interpretiert werden sollten. Dennoch lässt sich sagen, dass die Gefahr des Schul- oder Ausbildungsabbruchs bei im Ausland geborenen Kindern doppelt so hoch ist wie bei im Inland Geborenen. Diese Benachteiligung hängt zum großen Teil mit dem sozioökonomischen Status zusammen. Hinzu kommen jedoch weitere Faktoren wie Migration und Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit. Migrantenschüler, die mitten in oder gegen Ende der Schulpflicht ankommen, benötigen die größte Aufmerksamkeit.
Die pädagogischen Bedürfnisse von jungen Lernenden aus verschiedenen ethnischen Minderheiten oder Einwanderergruppen sind verschieden und hängen stark vom jeweiligen Kontext ab. Aufgrund des erhöhten Risikos von Leistungsschwäche und frühzeitigem Schulabgang müssen sie jedoch kontinuierlich und gezielt gefördert werden. Ein ganzheitliche Ansatz mit einer Mischung aus Fördermaßnahmen in Kombination und angepasst an die besonderen Bedürfnisse der Zielgruppe ist hier empfehlenswert. Wichtig sind insbesondere folgende Maßnahmen:
- Fachliche Förderung mit dem Ziel, die Lernenden dabei zu unterstützen länger in der Schule zu bleiben und gute Leistungen zu erbringen. Die Förderung kanneine Anfangsbeurteilung des Bildungshintergrunds und der Bedürfnisse umfassen; Aufnahme in Regelklassen; Überwachung des Fortschritts der Lernenden und möglicher Lernschwierigkeiten; starke Förderung in der Muttersprache des Lernenden und in der Unterrichtssprache; Mechanismen zur Steuerung des Übergangs zwischen Integrations- und Regelklassen und verschiedenen Bildungsstufen usw.
- Soziale und emotionale Unterstützung:B. zur Bewältigung von Problemen und Herausforderungen im Zusammenhang mit Migrations- oder Integrationserfahrungen des Lernenden und anderen persönlichen Schwierigkeiten.
- Einbeziehung der Eltern und der Gemeinschaft:Förderung der Elternbeteiligung durch freiwillige Tutoren im häuslichen Umfeld, die als Vermittler auftreten und starke Partnerschaften zwischen häuslichem Umfeld und Schule fördern können; Austausch bewährter Verfahren für die Verbesserung der Beteiligung von Eltern und Gemeinschaft zwischen den Schulen und Vermittlung ausführlicher Informationen über das Schulsystem und die Lernmöglichkeiten, Anerkennung und Aufnahme gemeinschaftsbasierter Wissensquellen.
- Interkulturelle Bildung: Schaffung eines Schulklimas, in dem der Migrationshintergrund und die Zugehörigkeit zu einem kulturellen Hintergrund einer ethnischen Minderheit als Bereicherung betrachtet wird und das Kommunikation unter den Lernenden durch zweisprachige Koordinatoren und interkulturelle Berater fördert.
Für viele Lernende mit Migrationshintergrund kann zudem eine spezielle Sprachförderung erforderlich sein.
Oft werden kulturelle Vermittler (für Vielfalt) ernannt, um Verbindungen zwischen der Schule und ihrer jeweiligen Migranten- oder Roma-Gemeinschaft herzustellen, und um Vertrauen, Verständnis und eine engere Beziehung zwischen der Schule und den Familien der Lernenden aufzubauen. Dadurch wird es leichter, die Lernenden für ihre Bildung zu begeistern und für eine angemessene Unterstützung seitens der Eltern, der Schule und lokaler Dienste zu sorgen. Sonstige ergänzende Modelle gehen von dem Mediatoransatz zu einem gemeinschaftsbasierten Ansatz über. Die Beteiligung der Familie an der Schulbildung der Kinder ist grundlegend dafür, um der Bildung mehr Bedeutung zu verleihen und sicherzustellen, dass die Schulen dafür verantwortlich sind, hohe Qualität sowie relevante und bedeutsame Bildung bereitzustellen.
Weitere Informationen:
Europarat, The situation of Roma School Mediators and Assistants in Europe (Die Lage der Roma-Schulmediatoren und -Assistenten in Europa), Straßburg: CE, Straßburg, 2006.
Europäische Kommission, Education and Training Monitor 2015 (Bildungs- und Ausbildungsmonitor 2015), Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, Luxemburg, 2015.
Europäische Kommission, Study on educational support for newly arrived migrant children (Studie über pädagogische Förderung von neu angekommenen Migrantenkindern), Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, Luxemburg, 2013.
European Policy Network on the education of children and young people with a migrant background, SIRIUS (Europäisches Bildungsnetz für Kinder und junge Menschen mit Migrationshintergrund – SIRIUS), Online-Plattform.
Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA), Education: The situation of Roma in 11 EU Member States, (Bildung: Die Lage der Roma in 11 EU-Mitgliedstaaten) Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, Luxemburg, 2014.
OECD, Closing the Gap for Immigrant Students: Policy and Practice (Schließung der Bildungslücke für Migrantenschüler: Strategien, Praxis und Leistung), OECD, Paris 2010.
OECD, Immigrant Students at School, Easing the Journey towards Integration (Migrantenschüler in der Schule, Förderung der Integration), Paris: OECD, Paris, 2015.
SIRIUS, Reducing the risk that youth with a migrant background in Europe will leave school early (SIRIUS: Verringerung des Risikos, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund in Europa frühzeitig die Schule verlassen), Kurzdossier, 2015.
Zusätzliche Lektüre:
Baysu, G., K. Phalet, & R. Brown, Dual Identity as a Two-Edged Sword: Identity Threat and Minority School Performance (Die doppelte Identität als zweischneidiges Schwert: Identitätsbedrohung und Minderheitenschulleistung), Social Psychology Quarterly, Band 74, Nr. 2, 2011, S. 121–143. doi: 10.1177/0190272511407619
Clycq, N., Nouwen, W. & Vandenbroucke, A., ‘Meritocracy, deficit thinking and the invisibility of the system: Discourses on educational success and failure’ (Meritokratie, Defizit-Denken und Unsichtbarkeit des Systems: Diskurse zum Schulerfolg und -versagen) British Educational Research Journal, Band 40, Nr. 5, 2013, S. 796–819. doi: 10.1002/berj.3109
Crul, M., Schneider, J. und Lelie, F. (Hrsg.) The European Second Generation Compared. Does the Integration Context Matter? (Die europäische 2. Generation im Vergleich. Spielt der Integrationskontext eine Rolle?) (IMISCOE-Untersuchung). Amsterdam: Amsterdam University Press, Amsterdam, 2012.
Larson, K. A. und Rumberger, R. W., ALAS: Achievement for Latinos through academic success (Leistung für Latinos durch den akademischen Erfolg), In H. Thorton (Hrsg.), Staying in school: A technical report of three dropout prevention projects for middle school students with learning and emotional disabilities, (In der Schule bleiben: Ein technischer Bericht über drei Schulabgangpräventionsprojekte für Schüler der Mittelstufe mit Lernschwierigkeiten und emotionalen Behinderungen), University of Minnesota, Institute on Community Integration, Minneapolis, MN, 1995, S. 1-71.
Nouwen, W. und Clycq, N. (2016), The Role of Teacher–Pupil Relations in Stereotype Threat Effects in Flemish Secondary Education (Die Rolle der Lehrer-Schüler-Beziehung bei Stereotype Threat-Effekten in der flämischen Sekundarausbildung), Urban Education. Online-Vorabpublikation. doi:10.1177/0042085916646627.